25 Jahre sind eine lange Zeit, mögt Ihr Euch noch an die Anfänge von MD Systems erinnern?
Miro: Die MD Systems entstand aus purer Neugierde am Unternehmertum. Bereits in der Lehre habe ich damit begonnen (was nicht erlaubt und auch nicht vereinbar mit dem Lehrvertrag war) das Fundament für die MD Systems zu legen. Viele selbsternannte “Freunde” wollten, aufgrund meines Computerwissens, Free-Tech Support von mir in Anspruch nehmen. Dank meiner Firma konnte ich die sogenannten “Freundschaftsdienste” sauber verrechnen und habe mir einiges an Freizeit zurückgeholt 😜
Neben dem anschliessenden Studium betrieb ich die MD Systems weiter als Side Project, dies auch mit der Mitwirkung von verschiedenen Mitstudenten.
2008 habe ich die Open Source CMS-Lösung "Drupal" für mich entdeckt und bin in dieser hochkompetenten und kollaborativen Community komplett aufgegangen. Die Art und Weise der Zusammenarbeit hat mich so begeistert, dass ich mich dazu entschied, im 2009, nach vier Jahren Alleingang, die MD Systems zu vergrössern.
Sascha: Ich stiess erst im Laufe meines Studiums dazu, also ungefähr vor 15 Jahren.

Welches Projekt war die erste Knacknuss?
Sascha: Für mich die speziellste Knacknuss war das GoLive des Bieler Tagblatts im November 2011. Wir haben das Bieler Tagblatt beim Abschluss des Projektes ihrer Website unterstützt und waren in der letzten Projektphase direkt vor Ort in ihren Büros in Biel. Wir wollten das Projekt ganz leise am Montagmorgen, ohne grosses Aufsehen und ohne Ankündigung, launchen. Was wir nicht bedachten; ausgerechnet an diesem Montagmorgen, als wir live gingen, kam es in Biel zu einer riesigen Schlagzeile: Bewaffneter Raubüberfall des McDonalds. Gefühlt wollte die ganze Schweiz wissen, was und wie dieser Überfall stattfand. Die Website wurde überrannt und es gab überdurchschnittlich viele Zugriffe, da sich alle informieren wollten, um auf dem neuesten Stand zu sein.
Adrenalin pur! Es dauerte eine Weile, bis wir die Website stabilisieren konnten, damit diese mit dem Ansturm an wissensdurstigen Menschen umgehen konnte. Falls jemand die Details zum Überfall nachlesen will, dieser alte Artikel wird noch in einem Archiv der Berner Zeitung geführt.
Miro: Das habe ich schon fast vergessen, das war wirklich nervenaufreibend.
Für mich war das erste Masterpiece 2012. Wir haben gemeinsam mit verschiedenen Medienhäusern der Schweiz ein Projekt gestartet (Initiative, Zusammenschluss mehrerer Medienhäuser der Schweiz). Dieses Projekt haben wir bereits drei Jahre bevor Drupal 8 released wurde, gestartet für ein spezifisches Produkt (NP8 Distribution), dies natürlich vorausschauend auf Drupal 8.
Es gab so viele Unsicherheiten und Risiken zu beachten (weil wir, wie gesagt drei Jahre technisch voraus waren) und einzuplanen und alles fehlende für einen MVP selber umzusetzen. Das hat letztlich dazu geführt, dass wir ca. ⅓ der top 100 Module von Drupal portiert haben und an Drupal Core noch stärker mitgewirkt haben. Das Resultat war der pünktliche Release von Le Temps (letemps.ch), zu diesem Zeitpunkt die global reichweitenstärkste / grösste Medien-Website basierend auf Drupal 8 der Welt.
Für mich persönlich; ein wunderbarer Meilenstein. Dies aus technischer Sicht, all die Entwicklungen welche wir realisieren konnten und natürlich auch aus Community-Sicht. Es gibt für mich fast nichts Schöneres, als die Kombination aus harter Arbeit und dem konspirativen Austausch kluger Köpfe.

Wie habt Ihr beide Euch kennengelernt?
Miro: Ich war an der Organisation des “Tag der Informatik 2008” beteiligt und lernte die Gewinner und Teilnehmer der WorldSkills Awards bereits im Vorfeld des Events kennen. Sascha ist mir aufgefallen und sein Fachwissen blieb mir im Hinterkopf (er hat 2007 den “Medaillon of Excellence"-Award an den WorldSkills in Shizuoka, Japan gewonnen).
Als ich ihn dann 2009 an einem “Drupal”-Event traf und wir die Gelegenheit hatten, uns auszutauschen, war klar, wir müssen gemeinsam etwas bewegen.
Sascha: Bereits vor meinem Studium war ich fasziniert von Drupal, während des Studiums habe ich mich dann noch intensiver damit auseinander gesetzt und entschied mich, 2009 meinen ersten Drupal-Event (im Aargau) zu besuchen. Dort kam ich mit Miro ins Gespräch und ab da begann unsere Zusammenarbeit. Während meines Studiums begannen wir, gemeinsam an verschiedenen Projekten zu arbeiten, zum Beispiel für das MWST Institut. Nach Abschluss meines Studiums, Sommer 2011, war für mich klar, dass ich mich weiter auf Drupal fokussieren wollte. Die Zusammenarbeit zwischen mir und Miro ist nach wie vor noch wie zu Beginn unseres Kennenlernens. Deswegen bin ich in MD Systems nach dem Studium gestartet, bis jetzt geblieben und engagierter denn je.
Habt Ihr einen Beziehungs-Tipp? Wäre ja eigentlich Silberhochzeit 🥰
Miro: Wir reden so gut wie nie miteinander 🤣 Nei, Seich, ich schätze Sascha als Mensch in seiner Ganzheit. Sein technisches Know-How gibt mir die Freiheit, mich auf Ideen und Konzepte für unsere Klienten und deren Projekte zu fokussieren. Seine Werte und Vorstellungen gehen mit meinen Hand in Hand und das macht eine Zusammenarbeit, für mich, entsprechend leicht.
Sascha: Naja, wir beide sind nicht ganz so lange gemeinsam unterwegs, wie es für eine Silberhochzeit benötigt würde, sondern “erst” 15 Jahre. Aber ich denke, dass wir uns als Menschen und als Fachleute gegenseitig schätzen, respektieren, ergänzen und das Gegenüber auch verstehen. Das macht eine Zusammenarbeit, aus meiner Sicht, sehr angenehm.
Miro: Gegenseitiges Vertrauen ist unser Geheimtipp für erfüllende Zusammenarbeit.
Was motiviert Euch? Und was ist das Bestreben eurer Arbeit?
Miro: Wir wollen Technologie für den Menschen entwickeln, die dem Menschen dient. Hierfür müssen unsere Entwicklungen verständlich, zugänglich und vertrauenswürdig sein und dies für alle (wir leben Inklusion).
Wir unterstützen und sind Teil von Open Source Kollaborationen, weil diese uns Zugang zu den weltweit klügsten Köpfen verschafft. Von diesen können wir lernen, uns entwickeln und wachsen.
Wir wollen langfristig und nachhaltig Richtung Zukunft gehen, und zwar so, dass unsere Kinder eines Tages stolz auf uns und unser Wirken auf dieser Erde sind.
Sascha: Wir möchten unsere langfristigen Engagements weiter ausbauen und die nachhaltigen, technologischen Ziele verstärken, damit auch unsere Kinder eine noch lebenswerte Erde als Siedlungsort zur Verfügung haben. Ganz nach dem Motto; sharing is caring möchten wir unsere Werte auch, je länger je mehr, nach Aussen tragen. Ich freue mich auch darauf, neue Werkzeuge für unsere Kunden zu kreieren und ihnen damit Lösungen für den Arbeitsalltag mit auf den Weg zu geben.

Was hat sich in den letzten Jahren in der Branche positiv verändert?
Miro: Open Source ist akzeptiert und überall verbreitet und wird als Bestandteil professioneller Softwareentwicklung verstanden.
Leider sind die medial wirkenden “positiven” Effekte wie zum Beispiel das Thema Barrierefreiheit, kaum substanziell, sondern mehr medienwirksame Trigger für andere Themen, welche das Marketing gerne gut platziert in den Medien wiederfinden möchte. Desto öfter die Wörter in falschen Zusammenhängen verwendet werden, desto eher verlieren diese an Bedeutung und Substanz, die Gesellschaft nimmt ab einem gewissen Zeitpunkt Souveränität oder Accessibility nicht mehr ernst oder sieht es in falschem Kontext. So entsteht eine “fake Souveränität”, ein “fake Open” etc.
Sascha: Die weltweite politische Situation unterstützt natürlich den Weg der “Digitalisierung”, da unsere wichtigsten Schlagworte Souveränität und Barrierefreiheit immer wieder einen Raum in den Medien erhalten. Das ist genauso, wie Miro gesagt hat.
Ich finde aber, momentan wird alles von AI dominiert. Ich habe oft das Gefühl, dass wir Nutzer die Digitalisierung gar nicht richtig verstehen, dass wir uns jetzt alle auf ChatGPT ausruhen und uns keine weiterführenden Gedanken zu uns und unserer Umwelt machen. Unüberlegtes Handeln und Konsumieren scheint, aus meiner Sicht, der momentane Fokus der Menschen zu sein. Jede Anfrage an AI verbraucht viele Ressourcen, generiert Datenvolumen, welches irgendwo auf irgendeinem Server gespeichert werden muss. Wie viel Wasser verschwenden wir mit Anfragen und/oder Aufgaben an unsere AI Helfer?
Zum Glück arbeiten wir mit platform.sh zusammen und haben dadurch die Möglichkeit, in der Schweiz auf nachhaltigeren Servern unsere Websites zu hosten. Hier möchten wir das Wort nachhaltig etwas ausdehnen, denn Technologie belastet und das stets. Wir versuchen jedoch mit unseren Lösungen immer den Impact auf die Umwelt zu minimieren.
Doch noch einen positiven Schlusssatz zu dieser Frage gefunden 😂
Gibt es Dinge, welche den Arbeitsalltag in der Schweiz für IT-Unternehmen beeinträchtigen?
Miro: Jetzt kommt erst der negative Teil. 🤪
Sascha: Naja, was raus muss, muss raus und du hast dich ja auch nicht auf dem Positiven ausgeruht, sondern direkt die kritische Stimme gewählt.
Miro: Klar, denn diese ist unangenehm und wird zu wenig ernst genommen und verstanden.
Wir sind alle von den Big-Tech-Bros abhängig und machen uns durch die Nutzung derer Softwarelösungen erpressbar. Die Technologie bewegt und verändert sich in rasantem Tempo. User versuchen stets mit dem aktuellen Trend mitzugehen (die Angst vor dem “Abgehängt werden” ist gross), diese werden aber meist bereits nach einem Jahr wieder abgelöst, durch eine neue oder optimierte Version. Diese Schnelllebigkeit der Technologie führt zu einem Wertverfall der eigentlichen technologischen Errungenschaft.
Wir bezeichnen uns gerne als Architekten, denn wir planen und bauen vom Fundament her und gestalten nicht “nur” schöne Nippes, welche in das fertige Haus gestellt werden. Sobald ein solides Fundament steht, ist es individuell ausbau- und wandelbar. So bleiben wir flexibel und haben Spielraum für Trends und noch unbekannte neue Bedürfnisse und Lösungen.
Sascha: Ich habe mein negatives Statement eigentlich schon in der Frage davor platziert. Aber ich denke, es ist wichtig, dass wir uns stets bewusst sind; wir sind Menschen, also lassen wir die menschlichen Gefühlsregungen zu und überlassen nicht die ganze Verantwortung für unser Sein einer technischen Spielerei.
Ihr seid beide sehr aktiv in verschiedenen Communities und Verbänden unterwegs. Was treibt Euch an, Euch so stark für die Branche zu engagieren?
Miro: Zum einen ist mein Wissensdurst sehr gross und zum anderen sehe ich das Potenzial von Open Source und deren bessere Ausschöpfung. Ich geniesse den Austausch unter Gleichgesinnten genauso, wie ich es mag, die Menschen zum Denken anzuregen und die Gesellschaft etwas anzustupsen. Dies tue ich als Fachreferent zu den Themen Digitalisierung, Digitale Souveränität, Open Source, Leadership, Accessibility und versuche, auch auf politischer Ebene etwas für die Branche zu bewegen.
Sascha: Ich bin nicht gerne im Rampenlicht und wenn, dann gebe ich “nur” in der Drupal Community mein Wissen zum Besten (da dieses Wissen Open Source ist, ist es für jeden zugänglich😜). Ich tausche mich gerne mit Gleichgesinnten aus. Muss aber mit dem Austausch nicht zwingend Menschen wachrütteln, da ist Miro schon etwas anders gestrickt. Ich erfreue mich daran, wenn wir als Community gemeinsam Lösungen finden und passende Tools entwickeln können. Jeder, der schon einmal in einem Escape Room war, und diese Art von Freizeitvergnügen schätzt, weiss, wie cool es ist, sich auf die Suche nach der Lösung zu begeben, damit alle aus der geschlossenen Umgebung raus kommen. Mit der Drupal Community haben wir ein Team von Spezialisten direkt an unserer Seite, besser geht es nicht.
Miro: Wir sind Mitglieder der swissICT (Fachgruppenleitung Open Source, Fachgruppe Smart Generations), Mitglieder des ADIS, Mitglied CH Open (Vorstandsmitglied), Drupal Community und setzen uns aktiv für Inklusion und Accessibility ein.
Was denkt Ihr, wie schaut die Schweiz in 25 Jahren aus? Hat das Warten auf die Hoverboards aus “Zurück in die Zukunft” endlich ein Ende?
Miro: Ganz ehrlich, ich wünsche mir, dass es schöner wird, als ich mir das bis jetzt ausmalen kann. Rein gesellschaftlich (zum Beispiel Blick auf Amerika) wird es je länger, je schwieriger. Deswegen; think global, act local. Gerade in unserer Branche gibt es Hochtechnologien, welche die globale Vernetzung unerlässlich machen. Für alles andere ist für mich klar, dass es möglich ist, lokal und nachhaltig zu funktionieren. Diesbezüglich hat die Schweiz noch viel Arbeit vor sich. Digitale Souveränität für die Schweiz und zwar sofort, sonst male ich schwarz für die Zukunft. Wir Schweizer sollten uns zwingend von den Big-Tech-Bros emanzipieren und selbstbestimmt in Richtung Zukunft gehen (weniger Abhängigkeit, mehr Freiheit, weniger Erpressbarkeit).
Wo also beginnen? Da viele, ausserhalb der Branche, noch gar kein Bewusstsein für die Problematiken entwickelt haben, engagieren wir uns aktiv in verschiedenen Gremien. Das Bewusstsein für: Was wollen wir überhaupt? Als Gesellschaft und jeder für sich persönlich. Wo liegt das Glück? Es lohnt sich, etwas auf die Bremse zu treten und sich nicht wahllos von der Technologie treiben zu lassen. Der wichtigste Wandel liegt in der Wahrnehmung der Suffizienz. Diese nicht als schmerzvollen Verzicht zu empfinden, sondern als Rückzugsort der Zufriedenheit zu sehen, darin liegt die grosse Wende, welche jeder für sich vollziehen darf. Work life balance und so.
Sascha: Gut zusammengefasst von Miro. Ich sehe das genauso. Wir geben unser Bestes, damit wir für uns, als Gesellschaft, die Wege Richtung Zukunft besser ebnen können. Wir müssen als Schweiz zwingend darauf achten, dass wir unabhängig bleiben und dass wir als Gesellschaft die neuen technischen Errungenschaften zum Wohle aller einsetzen können und nicht die Taschen ein paar weniger füllen.
Warum wir noch kein “Hoverboard” wie in der Idee des Films “zurück in die Zukunft” haben; ein Ding der Nachfrage, der generierten Bedürfnisse, des Ertrags und der investierten Ressourcen in die technische Umsetzung. Anscheinend wollen nicht alle vom Boden abheben 🤣
Erklärbär zum Schluss
Erklärbär zum Schluss
- Was ist Durpal? Drupal ist ein kostenloses Open-Source-Content-Management-Framework (CMS), das in PHP geschrieben ist und zur Erstellung und Verwaltung von Websites und Webanwendungen verwendet wird.
- Sascha Grossenbacher, Gewinner des CH OpenSource Youth Awards 2011. Noch während seiner Informatiklehre im Bundesamt für Informatik und Telekommunikation wurde Sascha Grossenbacher Schweizermeister im Webdesign.